Depression und Omega-3-Fettsäuren
Chancen bei Depressionen?
Depressionen zählen weltweit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und stellen sowohl Betroffene als auch Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen. Da nicht alle Patient*innen ausreichend auf Psychotherapie oder Medikamente ansprechen, rücken ergänzende Ansätze in den Fokus. Besonders Omega-3-Fettsäuren werden aufgrund ihrer potenziell entzündungshemmenden und neuroprotektiven Eigenschaften intensiv als unterstützende Option diskutiert.
Wie entsteht eine Depression? Was passiert im Gehirn?
Depressionen entstehen nicht durch eine einzelne Ursache, sondern durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren – etwa genetische Voraussetzungen, körperliche Veränderungen im Gehirn oder äußere Einflüsse wie Stress.
Früher bestand der Denkansatz, dass vor allem ein Ungleichgewicht bestimmter Botenstoffe im Gehirn – wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin – verantwortlich ist. Heute ist bekannt, dass auch andere Prozesse eine wichtige Rolle spielen können:
Störungen in der Signalübertragung zwischen Nervenzellen: Systeme, die mit dem Botenstoff Glutamat (anregend) und dem Botenstoff Gamma-Aminobuttersäure (GABA) (dämpfend) arbeiten, können aus dem Gleichgewicht geraten.
Veränderungen im Gehirn: Bei Depressionen konnte gezeigt werden, dass bestimmte Bereiche wie der Hippocampus kleiner werden können oder die Verbindungen zwischen Nervenzellen weniger stabil sind.
Weniger „Nervenwachstumsfaktoren“: Eiweiße wie BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor), die normalerweise Nervenzellen schützen und neue Verbindungen fördern, können bei Depressionen vermindert sein. Das kann die Anpassungsfähigkeit des Gehirns einschränken.
Stressbelastung: Dauerhafter Stress kann zu einer Überaktivität von Stresshormonen (z. B. Cortisol) führen. Das kann potenziell die Anfälligkeit für Depressionen erhöhen.
Entzündungen im Körper: Menschen mit Depressionen haben oft erhöhte Werte bestimmter Entzündungsbotenstoffe. Diese können potenziell Entzündungen im Gehirn fördern und Nervenzellen schädigen.
Oxidativer Stress: Wenn das Gleichgewicht zwischen schädlichen Sauerstoffverbindungen (freien Radikalen) und körpereigenen Schutzmechanismen gestört ist, können Zellen geschädigt werden. Dies trägt möglicherweise zu Veränderungen im Gehirn bei.
All diese Faktoren zusammen können dazu führen, dass das Gehirn an Flexibilität verliert („Neuroplastizität“), weniger neue Nervenzellen bildet und empfindlicher auf Stress reagiert – Prozesse, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Depression beitragen können.
Omega-3-Fettsäuren – was sie sind und warum sie wichtig sind?
Omega-3-Fettsäuren zählen zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die unser Körper nur zum Teil selbst herstellen kann. Deshalb sollten wir sie regelmäßig über die Ernährung aufnehmen.
Es gibt drei Hauptformen von Omega-3-Fettsäuren:
ALA (Alpha-Linolensäure): Diese Fettsäure kommt vor allem in pflanzlichen Ölen wie Leinöl, Rapsöl und Walnussöl sowie in Nüssen und Samen vor. Da unser Körper ALA nicht selbst bilden kann, gilt diese Fettsäure als essenziell.
EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure): Diese finden sich vor allem in fettreichen Fischen wie Lachs, Hering oder Makrele sowie in Algen, die die eigentlichen Produzenten dieser Fettsäuren sind. Der Körper kann diese Fettsäuren in geringem Umfang auch aus ALA, wenn diese vorhanden ist, herstellen. Deshalb werden EPA und DHA als semi-essentiell bezeichnet. Ein hoher Anteil an Omega-6-Fettsäuren, insbesondere Linolsäure (LA), wie er in westlichen Ernährungsweisen häufig vorkommt, kann die Umwandlung von ALA zu EPA und DHA zusätzlich hemmen.
Wie wirken Omega-3-Fettsäuren im Gehirn?
Omega-3-Fettsäuren machen einen wichtigen Teil der Gehirnstruktur aus – rund 10 bis 15 % des Gehirns eines erwachsenen Menschen besteht aus DHA. Forscher*innen gehen davon aus, dass Omega-3-Fettsäuren gleich auf mehreren Ebenen positiv auf die Gehirnfunktion wirken – insbesondere auf Prozesse, die auch bei Depressionen verändert sein können:
- Entzündungshemmung: Sie reduzieren bestimmte Botenstoffe im Körper, die mit Entzündungen und Depressionen in Verbindung gebracht werden.
- Unterstützung der Botenstoffe im Gehirn: Omega-3-Fettsäuren beeinflussen wichtige Systeme wie z. B. Serotonin und Dopamin, welche umgangssprachlich gerne als „Glückshormone“ bezeichnet werden und für die Stimmung und Motivation entscheidend sind.
- Förderung der Gehirnplastizität: Besonders DHA unterstützt die Bildung neuer Verbindungen zwischen Nervenzellen und stärkt die Anpassungsfähigkeit des Gehirns.
- Schutz vor Stress und oxidativen Schäden: Omega-3-Fettsäuren können dazu beitragen, die schädlichen Auswirkungen von Stresshormonen und freien Radikalen auf das Gehirn zu verringern.
Zudem wirken EPA und DHA unterschiedlich:
- EPA hat vor allem entzündungshemmende und gefäßschützende Eigenschaften.
- DHA ist ein zentraler Baustein der Nervenzellmembranen und unterstützt die Bildung neuer Verbindungen im Gehirn (Synapsen).
Omega-3-Fettsäuren und ihr Zusammenhang mit Depressionen
Mehrere große Studien zeigten: Menschen, die viele Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen – besonders aus pflanzlichen Quellen wie Leinöl (ALA) oder durch den Verzehr von fettreichem Seefisch (EPA und DHA) – haben ein geringeres Risiko, an Depressionen zu erkranken. Dieser Effekt scheint vor allem bei Frauen, insbesondere nach den Wechseljahren, deutlich zu sein.
Andere Untersuchungen kommen allerdings zu gemischten Ergebnissen: In manchen Studien konnte kein klarer Zusammenhang zwischen Fischverzehr und Depressionen nachgewiesen werden, während pflanzliche Omega-3-Fettsäuren (ALA) weiterhin mit einem geringeren Risiko verbunden waren. Auch bei Menschen, die bereits eine Depression durchlebt hatten, konnte eine zusätzliche Einnahme von Omega-3-Fettsäuren zwar die Stimmung und das Denken positiv beeinflussen, jedoch nicht immer die Depression als Ganzes verbessern.
Spannend ist außerdem, dass Unterschiede zwischen Regionen beobachtet wurden: Auf den Torres-Strait-Inseln, einer Inselgruppe bei Australien, war ein hoher Konsum von frischem Fisch mit weniger depressiven Symptomen verbunden – hier scheint also vor allem die Qualität, Verfügbarkeit der Lebensmittel und lokale bzw. geografische Einflüsse eine Rolle zu spielen. Endgültige Belege fehlen allerdings, wie so oft, aktuell.
Zusammenfassend muss jedoch berücksichtigt werden, dass Depressionen ein multifaktorielles Geschehen darstellen. Ernährung kann zwar vermutlich einen Beitrag leisten, doch auch soziale und psychische Faktoren, Lebensstil, körperliche Aktivität, Sonnenexposition, genetische Veranlagung und viele weitere Einflüsse wirken gemeinsam auf die Entstehung und den Verlauf depressiver Erkrankungen.
Omega-3-Fettsäuren in der Praxis – Empfehlungen für den Alltag
Fette gehören ganz selbstverständlich zu unserer Ernährung. Wichtig ist aber, welche Arten von Fetten wir zu uns nehmen. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind besonders wertvoll für unsere Gesundheit.
Jugendliche und Erwachsene sollten laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) 7–10 % ihrer täglichen Kalorien in Form von mehrfach ungesättigten Fettsäuren aufnehmen. Das entspricht bei einer durchschnittlichen Energiezufuhr von 2000 kcal/Tag zum Beispiel:
• 1 EL Raps-/Walnussöl + 1 EL Leinöl oder
• 1 EL pflanzliches Öl + eine kleine Handvoll (ca. 25 g) Walnüsse oder Samen oder
• ein bis zwei Portionen (ca. 120 g) fettreichen Fisch pro Woche (z. B. Lachs/Hering/Makrele)
Wichtig ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren. Im Alltag bedeutet das: lieber öfter Raps-, Lein- oder Walnussöl verwenden und Sonnenblumen- oder Maiskeimöl sowie stark verarbeitete Fertigprodukte seltener verzehren. So bleibt das Fettsäure-Gleichgewicht erhalten.
Mehr Infos zum dem Thema findest du hier: Fette
Für Schwangere und den Säugling ist DHA wichtig, da es die Entwicklung des kindlichen Gehirns unterstützt. Ein- bis zwei Portionen fettreicher Fisch pro Woche oder alternativ Algenöl- oder Fischöl-Kapseln decken den Bedarf von min. 200 mg/Tag zuverlässig.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gibt ähnliche Empfehlungen und betont zusätzlich, dass die tägliche Aufnahme von 250 mg langkettigen Omega-3-Fettsäuren das Risiko für Herzkrankheiten bei Erwachsenen reduzieren kann.
Nahrungsergänzung zur Therapie – ja oder nein?
Einige Studien zeigen, dass Omega-3-Fettsäure-Präparate die Wirkung von Antidepressiva verstärken und die Symptome zusätzlich lindern können. Allerdings sind die Ergebnisse nicht immer eindeutig – manche Untersuchungen fanden nur geringe oder gar keine Unterschiede.
Omega-3-Fettsäure-Präparate (z. B. Fischöl- oder Algenölkapseln) gelten grundsätzlich als sicher und werden meist gut vertragen; manchmal können allerdings leichte Magen-Darm-Beschwerden auftreten. In hohen Dosierungen – vor allem bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen – können sie jedoch das Risiko für Herzrhythmusstörungen oder eine erhöhte Blutungsneigung steigern. So ist das Risiko für Vorhofflimmern bei einer Zufuhr von 4 g/Tag laut einer Meldung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte am höchsten. Daher sollte eine Einnahme beim Vorliegen einer entsprechenden Grunderkrankung unbedingt mit Ärzt*innen abgesprochen werden.
Die aktuellen Leitlinien zur Behandlung von Depressionen raten nicht zu einer routinemäßigen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, wenn kein nachgewiesener Mangel besteht. Stattdessen wird eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend pflanzlichen Ölen, Nüssen und regelmäßig Fisch empfohlen.
Fazit für Verbraucher*innen
Omega-3-Fettsäuren sind wichtige Bausteine für Gehirn und Nervenzellen. Sie unterstützen die Signalübertragung, wirken entzündungshemmend und können möglicherweise dazu beitragen, das Risiko für Depressionen zu verringern – insbesondere bei Frauen.
Die bisherigen Studien liefern zwar Hinweise, sind jedoch nicht immer eindeutig. Eine pauschale Empfehlung zur Einnahme von Omega-3-Fettsäure-Präparaten im Zusammenhang mit Depressionen lässt sich daher derzeit nicht ableiten. Eine ausgewogene Ernährung mit regelmäßigem Verzehr von fettreichem Seefisch oder pflanzlichen Quellen wie Lein- oder Rapsöl ist jedoch sinnvoll.
Hilfe und weiterführende Informationen zum Thema Depression bietet beispielsweise die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention
Danksagung
Vielen Dank an die FH Münster, insbesondere Janina Dapprich, Prof. Dr. oec. troph. Anja Markant und Prof. Dr. rer. medic. Tobias Fischer, für die Erstellung dieses Artikels im Rahmen des Projektes “Nährstoffkompass”.
